Workshop- / Fortbildungs-Bericht
„Erinnern an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus – Brückenschlag in Gegenwart und Zukunft“
Termin: 15. Februar 2017
Veranstaltungsort: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin
Der eintägige Workshop befasste sich mit dem Thema „Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Unterricht“. 60 Teilnehmer_innen – vor allem Lehrer_innen aus Berlin und Brandenburg, Hochschuldidaktiker_innen, Gedenkstättenmitarbeiter_innen und Angehörige der Carl und Anneliese Goerdeler-Stiftung – diskutierten Fragen zu Gegenwartsbezügen, die in der Beschäftigung mit dem Widerstand erarbeitet und entwickelt werden können: Inwieweit kann die Auseinandersetzung mit dem Widerstand im Unterricht Wissen und Orientierungen bereitstellen, die von Relevanz sind für gegenwärtige Lebenswelten und die Gestaltung unserer Gegenwart und Zukunft? Welche Möglichkeiten gibt es, das Lernen über den Widerstand mit demokratie- und menschenrechtsbildenden Aspekten zu verbinden? Welche Erfahrungen liegen aus dem schulischen Alltag und der Verbindung schulischer und außerschulischer/gedenkstättenpädagogischer Bildungsangebote vor? Und was fehlt für die praktische Umsetzung im Unterricht?
Der als Fortbildungsangebot für Lehrkräfte von den Ländern Berlin und Brandenburg anerkannte Workshop wurde veranstaltet von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, in Kooperation mit der Carl und Anneliese Goerdeler-Stiftung und dem Institut für Didaktik der Demokratie der Leibniz-Universität Hannover. Er stand in Verbindung mit dem von den Veranstaltern gemeinsam ins Leben gerufenen Bildungsprojekt „Das Thema ‚Widerstand im Unterricht‘“.
Der themenspezifische Austausch über den schulischen Alltag für die Fächer Geschichte, Politische Weltkunde, Deutsch, Ethik, Religion etc. sowie die Verbindung schulischer und außerschulischer Bildungsangebote war ein wesentliches Element des Workshops. Damit sollte der Bedarf für die Weiterentwicklung geeigneter Angebote für die praktische Umsetzung der debattierten Inhalte im Unterricht ermittelt werden.
In seinen einleitenden Worten fragte Prof. Dr. Johannes Tuchel (Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand) nach Gegenwartsbezügen des Widerstands und verwies unter anderem auf die Instrumentalisierung bestimmter Symboliken und Ideen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Ein Beispiel dafür sei die „Wirmer-Fahne“, der von dem christlichen Widerstandskämpfer Josef Wirmer entworfenen schwarz-rot-goldenen Flagge mit eingefasstem Kreuz, die aktuell auch auf Demonstrationen der PEGIDA-Bewegung getragen wird.
Prof. Dr. Frieder Meyer-Krahmer (Goerdeler-Stiftung) betonte, der Widerstand solle nicht nur in der Rückschau betrachtet, sondern auch seine Bedeutung für heutige Lebenswirklichkeiten stärker berücksichtigt werden. Für diesen im Unterricht stattfindenden Brückenschlag bat er die Teilnehmer_innen, sich darüber auszutauschen, welche Erfahrungen es mit dem Thema „Widerstand“ im Unterricht gibt und welche Unterstützung seitens der Gedenkstätte oder der Goerdeler-Stiftung wünschenswert wäre. Die Goerdeler-Stiftung strebe in Zukunft auch Vergleiche mit dem Widerstand in anderen Ländern und Zeiträumen an.
Im Anschluss daran stellten Dr. Christine Müller-Botsch, Dr. Andrea Heubach und Sabine Sieg (Gedenkstätte Deutscher Widerstand) den Lernort Gedenkstätte vor. Müller-Botsch erläuterte eingangs zentrale Merkmale der historisch-politischen Bildungsarbeit vor Ort: Neben Führungen durch ausgewählte Bereiche der Dauerausstellung über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus würden auch die Seminarformate „Rundgang mit Ausstellungserkundung“ und „Rundgang mit vertiefender Materialrecherche“ häufig von Schulen nachgefragt. Unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte könnten hier gewählt werden. Besonders bewähre sich in den Veranstaltungen die Auseinandersetzung mit Biografien von Menschen im Widerstand, über die unterschiedliche Wege in den Widerstand, individuelle Handlungsspielräume und verschiedene Widerstandsformen herausgearbeitet und reflektiert werden können. Das Multiplikator_innenseminar stellt insbesondere auch (angehenden) Lehrer_innen die Gedenkstätte als Lernort vor. Gegenwartsbezüge würden in den Veranstaltungen der Gedenkstätte zwar thematisiert, im Zentrum der zeitlich begrenzten Besuche stünde jedoch in der Regel die Begegnung mit der Ereignisgeschichte. So wurde von Seiten der Gedenkstätte die Relevanz der Vor- und Nachbereitung eines Gedenkstättenbesuchs in der Schule auch mit Blick auf die Thematisierung von Gegenwartsbezügen noch einmal betont und vielfältige Kooperationsmöglichkeiten mit den Schulen aufgezeigt. Anschließend stellten Müller-Botsch, Heubach und Sieg in der Ausstellung am Beispiel jeweils eines Ausstellungsbereiches Aufbau und Konzeption der neuen Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand vor, informierten über die Praxis ihrer Bildungsarbeit und präsentierten verschiedene Seminarmaterialien.
Dr. Moritz Peter Haarmann (Institut für Didaktik der Demokratie, Leibniz-Universität Hannover) ging in seinem Vortrag „Widerstand im Unterricht. Ein didaktisches Konzept zur Förderung demokratischer und widerstandsethischer Werte“ auf die Erforschung von Lernbedingungen und die Demokratiebildung in der angewandten Didaktik ein. Für die Vermittlung des Widerstands im Unterricht sah er geschichtsdidaktische Herausforderungen, die sich entlang des Umgangs mit ambivalenten Haltungen, historischen Lebenswegen und unterschiedlichen Sozialisationen der Widerstandskämpfer_innen bewegen. Am Beispiel gegensätzlicher Haltungen der späteren Weggefährten Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Adam von Trott zu Solz illustrierte er die Heterogenität der Widerstandsmotive, verwies aber zugleich auch auf Überschneidungen.
Als einen Kernpunkt interdisziplinärer didaktischer Vermittlung von „Widerstandskompetenz“ als Bestandteil von Demokratiebildung betrachtete Haarmann die „doppelte Subjektorientierung“: Diese beinhalte sowohl den Blick auf die Situation und Lebenswirklichkeit der Lernenden als auch den Blick auf die Personen des Widerstands, die keine passiven Objekte waren. Darüber hinaus betonte er ebenfalls die Wichtigkeit des Bezugs auf gesellschaftliche Schlüsselprobleme (u.a. Nationalismen, Fremdenfeindlichkeit, Fundamentalismus sowie Vertreibung und Flucht) als Brücke zwischen gestern und heute.
Bei der anschließenden Diskussionsrunde kreisten die Beiträge um den Bedarf von Jugendlichen an Orientierungen und dem Interesse an den unterschiedlichen Erinnerungskulturen in beiden deutschen Staaten nach 1945. Eine Diskussion entspann sich über den Unterschied zwischen Widerstands- und Demokratiekompetenz und einer Definition beider Begriffe, die für eine konkrete Anwendung im Unterricht als hilfreich bezeichnet wurde.
Der Nachmittag stand im Zeichen des Austausches mit den Lehrerinnen und Lehrern über Erfahrungen, Ideen und eventuellen Unterstützungsbedarf zum Thema. Er startete mit dem kurzen Impulsvortrag „Erfahrungen mit dem baden-württembergischen Landesbildungsserver als Lernplattform für Lehrer und Schüler“ von Oberstudienrätin Dr. Ines Mayer und Studiendirektor Dieter Grupp (Landeskundebeauftragte am Kultusministerium Baden-Württemberg).
Die circa 40 Landeskundebeauftragten erstellen Unterrichtsmodule, organisieren Fortbildungsveranstaltungen und treiben die Vernetzung mit Museen, Gedenkstätten, Archiven etc. voran. Neben exemplarischen Fallbeispielen werden zusätzlich spezielle regional geprägte Entwicklungen vorgestellt. Ausgelegt sind die durch eine Niveaudifferenzierung für alle Schularten geeigneten Unterrichtsmodule auf jeweils zwei Doppelstunden. Um außerschulische Lernorte einzubeziehen, gibt es Vorschläge für Exkursionen beziehungsweise für das Einbeziehen des Lernortes in den Unterricht. Die angebotenen Unterrichtsmodule stehen allen Lehrer_innen und Schüler_innen online unter www. Landeskunde-bw.de kostenfrei zur Verfügung.
Dr. Karlheinz Lipp (Studienrat und Schulberater aus Berlin für die Bereiche Menschenrechte, Frieden und kulturelle Bildung) beschäftigte sich in einem weiteren kurzen Impulsvortrag „Zur Entwicklung von Gegenwartsbezügen beim Thema ‚Widerstand gegen den Nationalsozialismus‘: Erfahrungen und Ideen aus dem Unterricht“ mit verschiedenen Möglichkeiten, Widerstand mit demokratie- und menschenrechtsbildenden Aspekten zu verbinden. Als mögliche Zugänge zum Thema regte er die Vermittlung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie die Beschäftigung mit Organisationen an, die sich für Menschenrechte oder gewaltfreie Konfliktlösungen engagieren. Auch Auszeichnungen für Personen und Gruppen, die sich in diesen Bereichen engagieren oder Jubiläen, wie z. B. der 70. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte, können als Aufhänger zum Einstieg in die Thematik genutzt werden. Ein institutioneller Zugang, z.B. durch die Auseinandersetzung mit den Positionen der heutigen Friedensbewegung oder der Deutschen Friedensgesellschaft, könne ebenfalls hilfreich sein. Als Möglichkeit, Zivilcourage gegen den Nationalsozialismus mit einem Gegenwartsbezug zu behandeln, stellte der Referent die Beschäftigung mit Whistleblowern als zeitgenössischen biografischen Zugang zur Diskussion.
Gedankenaustausch und Abschlussrunde
Im Anschluss an die beiden Impulsvorträge wurden verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, um einen intensiveren Erfahrungsaustausch über Ideen und Praxis der Teilnehmer_innen untereinander zu ermöglichen und den Bedarf an zusätzlichen Bildungsangeboten zu ermitteln. Bei der Präsentation der Diskussionsergebnisse zeigte sich, dass für den Unterricht ein lokaler Bezug zum Widerstand beziehungsweise zur gegenwärtigen Lebenswelt der Schüler_innen oft als hilfreich betrachtet wird. Biographisches Material über Menschen, die heute Zivilcourage zeigen, oder das Einbeziehen von Migrationserfahrungen wurden als Möglichkeiten genannt, um Bezüge zur Gegenwart herzustellen. Fächerübergreifende Projekte und außerschulische Kooperationspartner, die in die Schulen kommen, waren weitere Anregungen.
Im abschließenden Resümee verwies Prof. Dr. Steinbach (Wissenschaftlicher Leiter Gedenkstätte Deutscher Widerstand) auf den Spagat zwischen der Tradierung von Wissen und der ständigen Infragestellung desselben, den Lehrer_innen im Unterricht bewältigen müssten. Die Gegenwart könne nicht ohne Rückschau auf die historischen Geschehnisse befragt werden, es sei aber auch wichtig, in einer pluralistischen Gesellschaft unter demokratisch-historischer Perspektive Partei zu ergreifen für Menschen, die vom Staat bedrängt und von der Gesellschaft allein gelassen würden. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus sei deshalb keine antike Geschichte. Die Beschäftigung damit sei auch immer mit dem Anspruch verbunden, heterogene Haltungen und Verhaltensweisen nachzuzeichnen, die durchaus Aktualitätsbezüge aufweisen können.
Die einzelnen Workshop-Beiträge stießen durchgängig auf großes Interesse im Publikum. Einem Impuls aus dem Plenum folgend, plant die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Zusammenarbeit mit ihren Kooperationspartnern, im nächsten Jahr für Interessierte ein weiteres Treffen anzubieten, auf dem es um die Weiterentwicklung des Projekts „Widerstand im Unterricht“ und um die Umsetzung der diskutierten Fragen in der praktischen Vermittlung gehen soll.
(c) Christin Sandow und Stefanie Steinbach (GDW)